Page 116 - Entlebucher Brattig 2021
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                   sein Erstweltkriegslied «Chömen einisch die Franzose»   Erlebnis – schon öfter erzählt – hatte ich in einem Traum.
                   singen. Tat’s mit bereits altersbrüchiger Stimme und   Damals war die Situation mit Bischof Wolfgang arg ver-
                   lachte, «hh-hh-hh», wohl etwas gemischten Gefühls.    fahren und ich war voll Sorge und Ärger. Da träumte mir
                                                                         Folgendes: Vor meinen Augen fällt ein Baum um an einer
                   Devise der Ernsthaften                                Stelle, wo nie einer gestanden hat. Bei genauerem Hin-
                                                                         sehen merke ich, dass der überdicke Stamm weder
                   Singen statt lachen, das war die Devise der Ernsthaften     Wurzeln noch Äste hat. – Dann erwachte ich und lachte
                   von damals. Mein Ururgrossvater dichtete, sang Lieder,   schallend. Ich wusste sofort, das war mein Bischof.
                   so oft er konnte, schrieb sie auf und sang sie professio-  Andersgläubige mögen mir diese eindeutige Interpre-
                   nellen Sammlern vor. Er war nicht allein. Aus dem Entle-  tation lächelnd verzeihen. Mich hat der Traum damals in
                   buch gab es eine ganze Reihe solcher Sammler: einen   eine andere Welt katapultiert, eine Welt mit viel Gelas-
                   Portmann, Schmid, Schöpfer, Stadelmann, Studer und    senheit, die meist bis heute anhält.
                   drei Schmidiger. Einiges ist gedruckt in Alfred Leonz
                   Gassmanns «Was die Väter sangen», Schriften der       Welt der Gelassenheit
                   Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde 42, 1961,
                   und ganze Stapel Manuskripte liegen ungedruckt        Wie oft habe ich schon versucht, die Biosphäre Entle-
                   im Schweizerischen Volksliedarchiv in Basel, Spalen-  buch an einer zentralen Stelle leicht polieren zu lassen.
                   vorstadt 2.                                           Persönliche Hinweise, Briefe hier und E-Mails dort, sogar
                   Singen statt lachen, allein oder mit anderen: Ein Bruder   einen Brattig-Text, alles umsonst. Die Akropolis zwischen
                   des letzten Entlebucher Amtsstatthalters, kürzlich pensio-  Zinggebrügg und Süderechapeli ist seit dem Unwetter
                   niert, tat es immer, wenn er in die Käserei fuhr, lauthals   2005 nachhaltig mit Dreck verklebt und wird es blei-
                   das Traktorengeräusch übertönend. Mein Vater tat es   ben. Mein Wunsch, an dieser seit dem Bauernkrieg
                   im Kreise der lieben Dienstkollegen und hat sich damit   geschichtsträchtigen Stelle etwas Reinigungswasser zu
                   manchen Kaffee verdient und mit gespartem Sold nach   verspritzen, bleibt wohl unerfüllt. Aber nachhaltig ist,
                   dem Krieg ein Rindli gekauft. Heute ist solches in meiner   siehe oben, auch meine Gelassenheit. Und Humor ist,
                   Umwelt selten geworden, und wenn eine Filmfigur, meist   wenn man trotzdem lacht.
                   weiblich, im Auto durch die Landschaft fährt und aus-  Ernsthaftigkeit war mir eigen. Und so habe ich bis heute
                   gelassen singt, dann wird’s bestimmt bald krachen. Am   keine Antenne für fast jede Art von Comedy. Aber das
                   besten, sie lachen einfach über dieses Filmklischee.  Lachen ist mir lieb geworden. Nie habe ich im Klassen-
                                                                         zimmer so viel gelacht wie in meinem letzten Schuljahr
                   Dem Fotografen geschuldeter Gehorsam                  vor der Pensionierung. Ein schöner Abgang.

                   Auf ältesten Fotos lacht niemand. Das liegt nicht nur am   Friedrich Schmid, *1951, Einsiedeln
                   Muster damaliger Ernsthaftigkeit, sondern an der langen   lic. phil., pensionierter Deutschlehrer
                   Belichtungszeit, die dem Objekt eine physische Erstar-
                   rung abverlangte. Oft merkt man, das war nicht Ernst,
                   sondern verbissenes Lachen, dem Fotografen geschul-
                   deter Gehorsam, der zum Schabernack verleitete, teuf-
                   lische Fingerhörner hinter dem Kopf des Nachbarn. Das
                   heutige Lachen auf Fotos, eins auf Kommando, ist dem
                   Zeitgeist geschuldet und oft in ähnlicher Weise starr wie
                   die Ernstmimik alter Tage.                                                         Auflösung Seite 145
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                   Freiheit und Kraft

                   Dennoch ist Lachen gesund, womöglich sogar, wenn
                   es antrainiert oder aufgesetzt ist. Lachen ist der effizien-
                   teste Beitrag zu einem guten Zusammenleben der Men-
                   schen. Es kostet nichts und wirkt doch Wunder. Wir kom-
                   men vielleicht gestresst von der Arbeit, jemand begegnet
                   uns, hebt die grüssende Hand, lächelt dazu – schwupps –
                   und unsere kleine Welt ist wieder heil. Kinderlächeln ver-
                   zaubert, das wissen wir. Lachen macht uns frei, schenkt
                   uns Energie und Tatendrang. Mein schönstes befreiendes                     Welcher Bach erfreut uns mit seinen Tönen?
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