Page 99 - Entlebucher Brattig 2021
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Ein Entlebucher Fasnachtsbrauch – einst und heute
Seit über 25 Jahren: Der Hirsmändigsbote in Flühli
Richard Portmann
Gewandet in eine überlieferte militärische Uniform, Einiges geben auch die Jahresrückblicke in der Presse
reitet der Hirsmändigsbote Guido Bucher durch die her. Er holt sich Ideen von anderen Leuten, notiert konse-
Gasse des dicht stehenden Publikums. Das Pferd Lorento quent deren Namen, damit er sich jederzeit erkundigen
wird vom Besitzer Söpp Häfliger angehalten und um die kann. Folgende Fragen stellt sich Guido Bucher immer
Hälfte eines Kreises gewendet. Der Bote hat nun fast alle wieder: Ist das Thema in der Öffentlichkeit noch präsent,
in seinem Blickfeld, richtet das Mikrofon, nimmt einen besitzt es Aktualität? Können in den Köpfen der Zuhörer
ersten Schluck und legt los. Sein wetterfest verpackter während des Vortragens Bilder entstehen?
Brief hat es faustdick in sich. Erst kommt Internationales Das führt dazu, dass einiges über die Klinge springen
und Nationales aufs Tapet, dann werden weder die Luzer- muss, anderes dafür etwas ausgebaut werden kann. Der
ner Regierung noch die Entlebucher Behörden geschont. eigentliche Brief entsteht dann erst eine Woche vor dem
Anteilsmässig am meisten zieht der Bote skurrile, heim- Hirsmändig. Von Montag bis Freitag sitzt Guido Bucher
liche und allerlei andere Geschehnisse aus dem Wald- am Computer. Durch nichts lässt er sich ablenken. Das
emmental ans Licht. Seine in prägnanten Versen vor- Verseschmieden und das Setzen der Pointen gehen nicht
getragenen Geschichten und Geschichtchen werden immer leicht, manchmal schaut in zwei Stunden nicht
an ihrem jeweiligen Ende oft durch herzhafte Lacher, viel Zählbares heraus. Aber auch: Es läuft wie geschmiert
manchmal zusätzlich mit Applaus, vergolten. Ja, Lacher und es passt einfach. Der Brief geht schliesslich am Frei-
hört man ab und zu auch schon vor der eigentlichen tag vor dem Hirsmändig in die Zensur. Rund zwölf Per-
Pointe, immer dann, wenn das Erzählte eine unerwartete sonen des Vereinsvorstandes hören Guido Bucher zu.
Wendung nimmt. Pausen gibts wenige, nur wenn der Das Gremium ist kritisch, doch der Brief wird im Allge-
Bote seine Lippen mit kleinen Schlucken netzt, ist es meinen wie verfasst angenommen. Es kommt vor, dass
eine kurze Zeit still. Nach einer dreiviertel Stunde kommt einmal das Streichen eines Themas vorgeschlagen wird
unweigerlich das Ende. Der Bote kehrt literarisch noch- oder dass ein Text umgeschrieben werden soll. Guido
mals an den Anfang zurück, es folgt eine weitere Pointe Bucher hat seine Passion gefunden, wie lange noch, ist
zur internationalen Lage – und die sitzt, wie die vielen sein Geheimnis. Eines scheint sicher: Er liebt die Rolle
anderen auch. Die Lacher sind laut und das Händeklat- als Bote, wohl mehr als das Präsidentenamt der Hirs-
schen ist lang. Der nun sichtlich entspannte Bote lädt mändigsgesellschaft, das er vor Jahren (auch) hätte über-
alle zum Versöhnungstrunk, steigt zufrieden vom Ross nehmen können.
und nimmt ringsum die Gratulationen entgegen.
Richard Portmann
Eine Woche Schreibarbeit für den Brief Mitglied der Brattig-Kommission
Guido Bucher ist nun bereits siebenmal als Hirsmän-
digsbote aufgetreten. Dass er solche Auftritte als ehe-
maliger Kantonsrat, früherer Gemeindepräsident und
heutiger Schulleiter gewohnt ist, merkt man an seiner Der Bote wird während seines Vortrags
ausdrucksstarken, deutlichen Sprache. Aber wie geht immer wieder von Vorstandsmitglie-
dern der Hirsmändigsgesellschaft mit
er an das Verfassen des Briefes heran? Wie kommt er Flüs sigem versorgt.
an die Informationen? Wann beginnt er die Verse zu
schmieden und an den Pointen zu feilen? Wichtig sind Guido Bucher ist bereits abgestiegen –
das Verlesen seines Briefes ist vorbei.
für ihn Zeitungsausschnitte, die er übers Jahr sammelt. [Bilder: zVg]

