Page 39 - Entlebucher Brattig 2021
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           Ein Kompaniekalb?





           Dominik Brun














           Ein urchiger Innerschweizer Einzelgänger musste – als   Einigen wenigen war auch ein «Vorfahre» des HD Läppli
           es die «alte Armee» noch gab – in den Train-WK ein-   ein Begriff, der brave Soldat Schwejk. Kaum jemand
           rücken. Seinen Hund konnte oder wollte er aber nicht   hatte den heute 100-jährigen Roman von Jaroslav Hašek
           allein zu Hause oder im Gaden zurücklassen. Also      gelesen, jedoch vage von der Hauptfigur Schwejk gehört
           erschien er am Ort, wohin er aufgeboten war, nicht nur   oder ebenfalls eine Verfilmung des Stoffes gesehen,
           mit Ross, sondern auch mit Hund. Am ersten Tag, bei   mindestens ausschnittweise. Während der zahllosen
           der Eintrittsverschiebung, sorgte das für gelegentliches   Stunden des Wachestehens, während des monotonen
           Lachen, aber im Grunde wurde der Dienst nicht gestört.   Drills und der unendlichen Übungen, deren Sinn sich
           Insgeheim erwartete zwar der eine oder andere das     den meisten nicht erschloss, erwachte in vielen Soldaten
             übliche militärische Durchgreifen des Feldweibels oder   der geheime Wunsch, ein Schwejk oder Läppli zu sein.
           des Kompaniekommandanten. Aber der Trainsoldat        Dem einen oder andern fiel auch zur richtigen Zeit eine
           mit Hund versicherte denen todernst und unnachgiebig,   witzige Antwort oder schlagfertig eine Ausrede ein. Aber
           dass er keine andere Lösung sehe. Im Übrigen verhalte   ob man dadurch schon das war, was vermutlich zum
           sich der Begleiter ebenso kriegstauglich wie die Train-  Überbrücken der langweiligen Stunden während des
           pferde. Der Kadi spürte, dass der administrative Auf-  Aktivdienstes erfunden wurde – ein Kompaniekalb?
           wand unverhältnismässig gross würde und liess den
           gesunden Menschenverstand walten. Das Hundeli         Entstand ein Kompaniekalb nicht eher aus der Sehn-
           «absolvierte den ganzen WK». – Ist nun der schmun-    sucht nach «Heldentum der Mittelmässigen»? Aus der
           zelnde Hundehalter schon ein Kompaniekalb? Oder       Sehnsucht nach Retro? Und damit nach dem Geschön-
           war es gar der Kadi, wie einige sich äusserten?       ten? – Ist einer, der nach einer Nachtübung im berüch-
                                                                 tigten Wagliseiknubel (in der Nähe vom Salwideli,
           Ein anderer Einstieg zum Kompaniekalb-Thema: In der   Gemeinde Flühli) bei der Schlusskontrolle fehlte und
           NZZ vom Sonntag, 5. April 2020 – einige Wochen nach   später stockbesoffen zuhinterst in einem Schützen-
           Ausbruch des Coronavirus – kommentiert ein Redaktor   graben schon halb erfroren gefunden und heimgetragen
           die grösste Truppenmobilisierung nach dem Zweiten     wurde, schon ein Kompaniekalb? Oder haben ihn die
           Weltkrieg. Wörtlich hält er fest, indem er militärische   wirklichen Kameraden so genannt oder vielmehr getarnt,
           Abkürzungen wie «Spit Bat» und «San Sdt» verwendet:   um ihn einer Bestrafung zu entziehen? Oder gar, um sich
           «Für Frauen und Jüngere ist es Kauderwelsch, ältere   selber zu schützen, weil verdeckte Gruppenstrafen doch
           Zeitgenossen fühlen sich nostalgisch an Zeiten erinnert,   nicht ganz tabu waren? Denn jemand musste am Ende
           als junge Schweizer noch (fast) ausnahmslos Militär-  des Tages das Material putzen oder das «Mat Mag» auf-
           dienst leisteten und später am Biertisch Erinnerungen   räumen. Und das übernahmen nicht selten die «Letzten».
           an gemeinsam durchlittene Manöver teilten.» An solchen   Oder diejenige Gruppe, die zur Schlussbesprechung mit
           Biertischen entstand meiner Meinung nach, aus Nostalgie,   einem Mann zu wenig antrat. Die Erfahrung lehrte aber
           der Begriff Kompaniekalb. Eine genauere Definition habe   auch, dass man im Dienst «schlüüffen» konnte, wenn
           ich von niemandem in meiner Umgebung erhalten.        man sozial zu einem Aussenseiter schaute und bei Inspek-
           Viele der damaligen Generation hatten etwas von einem   tionen dem ewig halb ausgerüsteten Meier-Müller die
           HD Läppli gehört oder sogar eine Verfilmung seiner    Sachen auslieh oder die Uniform vervollständigte.
           Geschichte mit Alfred Rasser gesehen. Man staunte,
           wie viele Frauen der deutschen Feriengäste dieses
           Schweizer Unikum kannten und von ihm schwärmten.
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