Page 39 - Entlebucher Brattig 2021
P. 39
038
Ein Kompaniekalb?
Dominik Brun
Ein urchiger Innerschweizer Einzelgänger musste – als Einigen wenigen war auch ein «Vorfahre» des HD Läppli
es die «alte Armee» noch gab – in den Train-WK ein- ein Begriff, der brave Soldat Schwejk. Kaum jemand
rücken. Seinen Hund konnte oder wollte er aber nicht hatte den heute 100-jährigen Roman von Jaroslav Hašek
allein zu Hause oder im Gaden zurücklassen. Also gelesen, jedoch vage von der Hauptfigur Schwejk gehört
erschien er am Ort, wohin er aufgeboten war, nicht nur oder ebenfalls eine Verfilmung des Stoffes gesehen,
mit Ross, sondern auch mit Hund. Am ersten Tag, bei mindestens ausschnittweise. Während der zahllosen
der Eintrittsverschiebung, sorgte das für gelegentliches Stunden des Wachestehens, während des monotonen
Lachen, aber im Grunde wurde der Dienst nicht gestört. Drills und der unendlichen Übungen, deren Sinn sich
Insgeheim erwartete zwar der eine oder andere das den meisten nicht erschloss, erwachte in vielen Soldaten
übliche militärische Durchgreifen des Feldweibels oder der geheime Wunsch, ein Schwejk oder Läppli zu sein.
des Kompaniekommandanten. Aber der Trainsoldat Dem einen oder andern fiel auch zur richtigen Zeit eine
mit Hund versicherte denen todernst und unnachgiebig, witzige Antwort oder schlagfertig eine Ausrede ein. Aber
dass er keine andere Lösung sehe. Im Übrigen verhalte ob man dadurch schon das war, was vermutlich zum
sich der Begleiter ebenso kriegstauglich wie die Train- Überbrücken der langweiligen Stunden während des
pferde. Der Kadi spürte, dass der administrative Auf- Aktivdienstes erfunden wurde – ein Kompaniekalb?
wand unverhältnismässig gross würde und liess den
gesunden Menschenverstand walten. Das Hundeli Entstand ein Kompaniekalb nicht eher aus der Sehn-
«absolvierte den ganzen WK». – Ist nun der schmun- sucht nach «Heldentum der Mittelmässigen»? Aus der
zelnde Hundehalter schon ein Kompaniekalb? Oder Sehnsucht nach Retro? Und damit nach dem Geschön-
war es gar der Kadi, wie einige sich äusserten? ten? – Ist einer, der nach einer Nachtübung im berüch-
tigten Wagliseiknubel (in der Nähe vom Salwideli,
Ein anderer Einstieg zum Kompaniekalb-Thema: In der Gemeinde Flühli) bei der Schlusskontrolle fehlte und
NZZ vom Sonntag, 5. April 2020 – einige Wochen nach später stockbesoffen zuhinterst in einem Schützen-
Ausbruch des Coronavirus – kommentiert ein Redaktor graben schon halb erfroren gefunden und heimgetragen
die grösste Truppenmobilisierung nach dem Zweiten wurde, schon ein Kompaniekalb? Oder haben ihn die
Weltkrieg. Wörtlich hält er fest, indem er militärische wirklichen Kameraden so genannt oder vielmehr getarnt,
Abkürzungen wie «Spit Bat» und «San Sdt» verwendet: um ihn einer Bestrafung zu entziehen? Oder gar, um sich
«Für Frauen und Jüngere ist es Kauderwelsch, ältere selber zu schützen, weil verdeckte Gruppenstrafen doch
Zeitgenossen fühlen sich nostalgisch an Zeiten erinnert, nicht ganz tabu waren? Denn jemand musste am Ende
als junge Schweizer noch (fast) ausnahmslos Militär- des Tages das Material putzen oder das «Mat Mag» auf-
dienst leisteten und später am Biertisch Erinnerungen räumen. Und das übernahmen nicht selten die «Letzten».
an gemeinsam durchlittene Manöver teilten.» An solchen Oder diejenige Gruppe, die zur Schlussbesprechung mit
Biertischen entstand meiner Meinung nach, aus Nostalgie, einem Mann zu wenig antrat. Die Erfahrung lehrte aber
der Begriff Kompaniekalb. Eine genauere Definition habe auch, dass man im Dienst «schlüüffen» konnte, wenn
ich von niemandem in meiner Umgebung erhalten. man sozial zu einem Aussenseiter schaute und bei Inspek-
Viele der damaligen Generation hatten etwas von einem tionen dem ewig halb ausgerüsteten Meier-Müller die
HD Läppli gehört oder sogar eine Verfilmung seiner Sachen auslieh oder die Uniform vervollständigte.
Geschichte mit Alfred Rasser gesehen. Man staunte,
wie viele Frauen der deutschen Feriengäste dieses
Schweizer Unikum kannten und von ihm schwärmten.

