Page 64 - Entlebucher Brattig 2021
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Unterwegs in Hasle
Angefangen hat alles in einer kleinen Wohnung im Dorf-
kern von Hasle. Dort wuchs «Sepp» bei seinen Eltern
zusammen mit seinen drei Geschwistern in bescheidenen
Verhältnissen auf. Eine prägende Kindheitserfahrung
waren die sonntäglichen Fahrradtouren mit seinem Vater.
Oft fuhren die beiden schweigend vor der Messe auf
einen der umliegenden Hügel. Dort beobachteten sie
wortkarg und nachdenklich den Sonnenaufgang und die
erwachende Natur. «Ich fühlte mich wohl bei dem, was
wir zusammen erlebten. Verweilen und beobachten
können, Langsamkeit, das lernte ich so», erinnerte sich
Duss-von Werdt später.
Neben diesen Fahrradausflügen nahmen auch die Spa- Im Haus des ehemaligen «Schuh-
ziergänge mit seinem Grossvater einen besonderen Platz Bieri» ist Joseph Duss-von Werdt
aufgewachsen. In seinen Studien-
in seinen Erinnerungen ein. Als Kleinbauer, Pflanzenken- jahren verbrachte er oft die Ferien
ner, Schnapsbrenner und Wetterprophet habe der Gross- hier und im eigenen Studierzimmer
arbeitete er an seinen Dissertationen.
vater, so Duss-von Werdt, stets «die Zusammenhänge [Bild: zVg Paul Bieri]
beobachtet und ich habe ihm zugeschaut, wie er das
machte. Er verband den Wind und seine Richtung mit
den Wolken, die Wolken mit ihrer Form und der Feuch-
tigkeit in der Luft […]. Um daraus Schlüsse zu ziehen,
reichte ihm der Blick auf einen engen Horizontabschnitt.»
Verweilen und beobachten, schweigen und nachdenken,
Zusammenhänge erkennen: Diese Fähigkeiten erwarb
Duss-von Werdt schon früh. Sie sollten später für die
Mediation besonders wichtig werden.
Im Archiv des Philosophen
Nach dem Gymnasium in Beromünster studierte Duss-
von Werdt zunächst ein Jahr Theologie in Luzern, bevor Die Natur und das Wandern, durch
er 1952 an die Katholische Universität Leuven wechselte. die Schweiz (hier im Jura) und ganz
In der belgischen Kleinstadt widmete er sich den Europa, gehörten bis ins hohe Alter
zu den grossen Leidenschaften von
Fächern Philosophie und Psychologie. Da der Hasler Duss-von Werdt. [Bild: Martin Duss]
dort einer der wenigen deutschsprachigen Studenten
war, erhielt er bald Arbeit im Edmund-Husserl-Archiv. In
einem der Briefe dieses bekannten österreichisch-deut-
schen Philosophen begegnete Duss-von Werdt dem
Satz: «Ich bin ein ewiger Anfänger.»
Die Studienjahre in Leuven bedeuteten für Duss-von
Werdt dann tatsächlich einen Neuanfang. Das Studium
half ihm, seine in der Jugend erworbene Weltsicht neu
einzuordnen und mit einem philosophischen Fundament
zu untermauern: «Als ich das erste Mal etwas von biolo-
gischen und anderen Systemen hörte, erinnerte ich mich
an dieses Wissen [des Grossvaters] – und schmunzelte
über die Tatsache, dass es magische Fremdwörter braucht,
bis man alltägliche Beobachtungen zur Kenntnis nimmt
und wissenschaftlich mit dem Bann der Wirklichkeit
belegt.» Im Nachdenken über die philosophische Strö- Mit einer Reisegruppe aus Hasle
mung Husserls verstand Duss-von Werdt: Sowohl die besuchte «Sepp» – mit der Kamera
um den Hals – im heiligen Jahr 1950
Wissenschaft in ihrer Fachsprache als auch die Über- den Vatikan. [Bild: zVg Paul Bieri]

