Page 109 - Entlebucher Brattig 2021
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           Expedition zum Zwerchfell





           Roger Jud














           «Erfrischend.» – «Herrlich!» – «Gewinnend.» – «Fröh-  an und setze eine lässige Visage auf. Das Grinsen auf
           lich.» – «Ansteckend.» – «Echt.» In letzter Zeit höre ich   den Stockzähnen fühlt sich völlig fremd an. So gehts
           vermehrt solchen Zuspruch, der zwar toll klingt und mir   nicht. Also stelle ich die mir zugewiesenen eins neun-
           wahrscheinlich Mut machen soll, mich aber immer tiefer   undsiebzig in Positur, richte mich noch mehr auf und
           hinein manövriert in eine Zwickmühle. Das ist kein Spiel,   schaffe dann die eins achtzig natürlich locker. So schum-
           hat weder mit Schach noch mit Nünistei zu tun. Die Lage   mele ich, mache mich grösser als auf der Identitätskarte
           ist nämlich ernst. Ich verirre mich in einer Tour in den   vermerkt, um Verwirrung zu stiften. Na ja, darauf achtet
           Mittelpunkt, eine Position, die mir zwar keine schlaflosen   sowieso niemand an der Grenze. Schliesslich steht nie
           Nächte beschert, mich aber doch herausfordert, da ich   jemand da, den ich aus dem Konzept bringen könnte.
           das Geschehen lieber von der Seitenlinie aus verfolge.   Zurück zum Spiegel. Lassen sich Spuren meiner eher
           Das gelingt mir nur noch selten, da ich meinen Beobach-  unmännlichen Lache am Körper ablesen? Die Augen
           tungsposten stets selbst preisgebe und mitten hinein-  wandern übers Gesicht, schreiten durch Faltentäler, han-
           platze ins Vergnügen. Folglich hat mich das Rampenlicht   geln den Lippen entlang und erklimmen den gebogenen
           bei Nacht und Nebel umzingelt und letztlich eingefan-  Rücken der Nase. Hm, der Riecher versagte damals so
           gen, in dem ich jetzt den Ritterschlag verpasst bekomme.   ziemlich. Hat nämlich ganz schön gescheppert im Gebälk,
           Damit ist keine leichte Aufgabe verbunden. Zudem ent-  als der Verteidiger mit dem Knie voran auf mich zuge-
           puppt sich die Angelegenheit als eine brutal harte Nuss.   stürmt kam. Kung-Fu statt Fussball. Nun ja, wir waren
           Zwar hämmern die Finger auf der Tastatur herum, doch   Kinder und mit Herzblut dabei. Das Blut tropfte dann
           die Gedanken sind schwer zu fassen. Schliesslich soll   schön rot auf das gelbe Trikot und das satte Grün neben
           meine Lache die Hauptrolle in diesem Text übernehmen.   die schwarzen Pumas. Im Nu verscheucht das Gelächter
           Wenn das nur gutgeht. Denn der Ausbruch meiner Hei-   die Erinnerungen. Der Nase ist es schnuppe. Sogleich
           terkeit und der damit verbundene Geräuschpegel hat mir   fliesst der Blick an mir herunter und gerät ins Stocken.
           schon einige Scherereien eingebrockt. Ich falle aus dem   Ich lebe nicht gerade auf zu grossem, aber auf griechi-
           Rahmen. Ernte böse Blicke. Sorge für Aufsehen. «Gehts   schem Fuss. Die grosse Zehe nenne ich dicker Onkel.
           noch!» – «Du wieherst wie eine Hyäne!» – «Hast wohl   Schliesslich lässt er sich von der Nummer zwei in der
           zu viel Gigelisuppe gegessen?!» Mein Lachen ist offen-  Zehenreihe, dem eitlen Statthalter, um einen ganzen
           sichtlich nicht genormt. Um dieser Unstimmigkeit auf   Kopf überragen. Ich gröle vor mich hin, schaue wieder,
           den Grund zu gehen, habe ich mich für eine Spurensuche   was passiert. Das Gelächter zieht spurlos an den Füs-
           entschieden und breche nun zu dieser Expedition zum   sen vorbei. Okay, an den Griechen dort unten liegt es
           Zwerchfell auf.                                       auch nicht.
                                                                 Nach weiteren Erkundungen der Ohrmuscheln, Zähne,
           Als Erstes richte ich mein Basislager vor dem Ganzkör-  Haarwirbeln und der Arme mit einer Spannweite von
           perspiegel ein. Normalerweise achte ich kaum auf den   einhundertneunundachtzig Zentimetern, die zu keinerlei
           Typen, der mir alles nachmacht. Er bleibt ein flüchtiger   Ergebnissen führten, schlage ich das nächste Camp mit-
           Bekannter. Doch heute nehme ich die Herausforderung   ten in der Kulturlandschaft auf. Dort durchforste ich die
           an. In dem Moment rinnt eine Aussage durch die Gänge   verschlungenen Pfade der Literatur, der Musik und der
           meines Gehirns und setzt sich fest wie Hausschwamm.   Kunst, suche nach Anhaltspunkten meiner raumgreifen-
           «Für einen typischen Mann lachst du viel zu hoch und   den Lache.
           viel zu laut.» Mit Verlaub, wie lacht ein typischer Mann?
           Okay, ich versuchs. Dazu hebe ich das Kinn verwegen
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